Grüne Smoothies - Hildegard von Bingen modern interpretiert?
Was ist dran am Mythos “Grüne Smoothies”? Bevor die Frühlings-Rezeptflut startet, haben wir einige kritische Fragen an Gabriele Leonie Bräutigam von HERBALISTA gestellt. Sie hat mit “Wilde Grüne Smoothies” ein Grundlagenbuch zum Thema geschrieben.
Bei der Vorbereitung des Interviews überraschte sie uns, als sie erzählte, welche bedeutende Rolle die Ernährungsphilosophie der Hl. Hildegard für sie bei der Entwickung der Rezepte spielte.
Frage: Sind “Grüne Smoothies” so gesund wie sie schmecken?
Gabriele Leonie Bräutigam: Grüne Smoothies sind ein “Hochleistungs-Lebensmittel”. Ein “Superfood” in Wortsinn. Ihr Erfolgsgeheimnis liegt darin, dass durch einen “Hochleistungs-Mixer” (ca. 2 PS!) die Zellwände der Pflanzen aufgebrochen werden und so Chlorophyll und sekundäre Pflanzenstoffe dem Körper frisch und vollständig zur Verfügung gestellt werden. Was er davon aufnehmen kann – das ist eine ganz andere Sache. Was aber selten bis nie Erwähnung findet.
Auch Samen wie Hanfsamen oder Leinsamen werden schonend und mechanisch aufgeschlüsselt, ohne dass Hitze oder Zusatzstoffe zu chemischen Veränderungen führen.
…Das ist natürlich großartig! Ein Quantensprung.
ABER: Es bedeutet natürlich auch, dass man eben ganz genau überlegen muss, von was man wieviel in den Mixer gibt und welche Dosis von was dem eigenen Körper gut tut, denn ACHTUNG - wenn etwas schon so hocheffeektiv ist, gilt die klassische Regel “Weniger ist mehr” und nicht “viel hilft viel”! Auch wenn letzteres immer wieder als modernes Märchen erzählt wird.
… Und da wären wir schon bei Hildegard von Bingen - Stichwort: “Discretio” …
Gabriele Leonie Bräutigam: Genau. “Discretio” – “das rechte Maß” – gilt gleich in doppelter Hinsicht. Jeder Mensch ist anders: der eine ist klein, der andere groß, der eine hat einen hyperaktiven Stoffwechsel, der andere eher einen “bequemen”. Dies sollte bezüglich der Konzentration und Menge der “gesunden” Inhaltsstoffe auf jeden Fall beachtet werden. Auf der anderen Seite stellt der Grüne Smoothie den Nährstoffgehalt komplett zur Verfügung.
Darum ein PRAXIS-TIPP von mir: Man starte seine Frühlings-Fit-Kur mit ca. 0,1 bis 0,25 Liter Glas. Das reicht. Am besten genießt man sie als 2. Frühstück. Ein Smoothie ist eine vollständige kleine Mahlzeit.
Gerade bei Wildkräuter-Smoothies, da Wildkräuter bekanntlich das bis zu 23-fache an sekundären Pflanzenstoffen enthalten. Wildkräuter-Smoothies sind die absoluten Powerdrinks. Für die Frühjahrskur, für Eilige – und ja: Gerade Männer lieben sie, weil sie (richtig gemacht) supergut schmecken, sehr bequem herzustellen sind im Vergleich zu einem Wildkräutersalat und die Power solch eines “Mixer-Ferraris” das Technikherz höher schlagen lässt.
Wieviel Wildkräuter empfiehlst Du nun pro Smoothie?
Gabriele Leonie Bräutigam: Ein Grüner Smoothie enthält Grün : Obst in etwa im Verhältnis 1:1. Dazu 1 Teil Wasser. Für einen Wildkräuter-Smoothie verwende ich in der Regel 50% Wildkräuter und 50% weichere Blätter von einem Salat oder einem anderen Kulturgemüse (Rettich, Wirsing, Radieschen …) für eine schöne glatte Textur.
Anfang April kann man die Wildkräuter noch querbeet mischen. Sie enthalten vorwiegend Chlorophyll und Vitamine. Ideal um nach einem langen Winter die Ernährungsdefizite schnell wieder auszugleichen. Mit höherem Sonnenstand und längeren Tagen bilden sich dann zunehmend die heilkräftigen sekundären Pflanzenstoffe: Gerbstoffe, Bitterstoffe, ätherische Öle, usw. Für die Wildkräuter-Dosierung empfehle ich die Faustregel: “A Handful a day keeps the doctor away …” J
Darum sollte man bei Wildkräuter-Smoothies im Sommer viel vorsichtiger dosieren. Im Sommer reichen mir persönlich 0,1 l locker. Ich mische auch weniger: 1 Basiskraut und 1 weiteres Kraut für die Kopfnote reichen! Wer schlau ist, achtet auch darauf, dass sich evtl. Heilwirkungen ergänzen. Viele Wildkräuter sind auch Heilkräuter. Im Smoothiebuch stelle ich 50 geeignete heimische Wildkräuter vor.
… d.h. also: “Grün ≠ Grün”? Welche Wildkräuter eignen sich am besten?
Immer gut ist eine Handvoll vom basischem Giersch. Hildegard empfiehlt ihn zum Neutralisieren, z.B. bei Magenschmerzen. Gemischt mit etwas Brennnessel, Labkraut oder Klettenlabkraut. Malve und die Wegeriche enthalten viele Schleimstoffe, die die (Magen- und Darm-) Schleimhäute pflegen und den Grünen Smoothie schön seidig-glatt machen.
Sehr gut eignen sich auch Himbeer- oder Walderdbeerblätter, wie sie auch in der Apotheke als “Fülldroge” eingesetzt warden, d.h. sie enthalten viel Chlorophyll, aber wenig sekundäre Pflanzenstoffe.
Die weichen Lindenblätter kann man bis in den Juni verwenden, andere Baumblätter nur im frühen Frühjahr. 50 besonders gut geeignete Wildkräuter fürs ganze Jahr habe ich im Erntekalender vom Smoothie-Buch zusammengestellt.
Viele Wildkräuter sind Heilkräuter. Man kann sie entsprechend einsetzen. Wenn man sie für die tägliche “Ernährung” nutzt, immer schön durchwechseln. Das ist wie “Trampolinspringen fürs Immunsystem” - Die Organsysteme werden im Wechsel gefordert…
…“Grüne Smoothies” als Viriditas 2.0?
“Viriditas” – die “Grünkraft” – ist für Hildegard von Bingen der zentrale Begriff für jene göttliche Kraft, die Grundlage des Lebens und der Heilung ist. Und es ist das Wunder der Natur, dass Pflanzen aus Mineralstoffen, Wasser und Sonnenlicht, d.h. purer Energie Chlorophyll erzeugen und damit die Grundlage unserer Nahrungskette bilden.
Chlorophyll ist in seiner Zusammensetzung dem menschlichen Hämoglobin sehr ähnlich. Als Folsäure-Lieferant wirkt es blutbildend, verbessert die Versorgung von Muskeln und Gehirn mit Sauerstoff und damit Leistungsfähigkeit und Konzentration. Was Grüne Smoothies vor allem bei Sportlern und Managern beliebt macht. Bei Frauen unterstützen sie die schnelle Regeneration im Monatszyklus, bei Kindern Wachstumssphasen. Es gibt auch sehr gute Erfahrungen bei der Regeneration des Blutbildes nach einer Chemotherapie.
Link: https://wp.herbalista.de/wildkraeuter-smoothies-bei-krebs/
Hätte Hildegard also Grüne Smoothies getrunken?
Zu Lebzeiten im Mittelalter wohl kaum. Wegen der Infektionsgefahr setzte man eher auf Gekochtes, Gebratenes, Gebrautes und Gekeltertes. Heute? Ja – vor allem jetzt im Frühjahr als konzentrierte Grünkraft für die Frühjahrskur!
Hier geht es zu zwei Rezepten von Gabriele Bräutigam!
Zur Person: Gabriele Leonie Bräutigam M.A. ist Kulturwissenschaftlerin und Buchautorin und zertifizierte Kräuterführerin Waldsassen. Ihr Buch “Wilde Grüne Smoothies” geht dieses Frühjahr in die 6. Auflage. Gabriele ist Herausgeberin des Wildkräuterportals herbalista.eu (Link) für Traditionelle Europäische Pflanzenkunde. Die Fragen stellte Johanna Härtl.
Bildquellen: Fotos 1 - Gabriele Bräutigam; alle Smoothie-Bilder - Sammy Hart; Brennnessel - Umweltstation Abtei Waldsassen
Wichtiger Hinweis: Die in dem Artikel enthaltenen Informationen wie Anwendungsvorschläge, Rezepte, Angaben wurden nach aktuellen Wissensstand sorgfältig recherchiert, erfolgen aber ohne Gewähr. Es bleibt in der alleinigen Verantwortung des Lesers, die Angaben aus dem Artikel einer eigenen Prüfung zu unterziehen. Werden Methoden und Rezepte aus diesem Artikel angewendet, dann geschieht dies auf eigene Verantwortung und Haftung. Die Informationen ersetzen keinesfalls eine ärztliche Diagnose oder Therapie.